
Leonardo
Maler, Bildhauer, Architekt, Erfinder, Naturforscher, Schriftsteller. Was war er eigentlich nicht? Leonardo da Vinci vereinte so viele Talente in sich, dass es scheint, als hätte ihn das Glück überreich beschenkt. Doch sein Leben war nicht immer sonnig und einfach.
Diese faszinierende Reise wird jungen Lesern in einem Buch voller farbenfroher, ganzseitiger Illustrationen nähergebracht. Und auch wenn sie nicht direkt aus Leonardos Pinsel stammen, fangen sie seine Zeit in all ihrer Vielfalt ein.
Als Caterina klein war, wünschte sie sich nichts mehr als eine Puppe. Doch sie bekam nie eine. Ihre Eltern hatten kein Geld für Spielzeug, und so musste sich Caterina mit Stoffresten oder bemalten Stöckchen begnügen. Manche waren zu kurz, andere zu dünn – irgendetwas fehlte ihnen immer. „Wenn ich mal groß bin, werde ich eine richtige Puppe haben, das werdet ihr sehen! Und es wird ihr an nichts fehlen!“, sagte sie. Und weil die Zeit nicht stehen bleibt, sondern immer weiterläuft, merkte sie kaum, wie sie plötzlich groß geworden war. Dem kleinen Jungen, der an einem Aprilabend im Jahr 1452 zur Welt kam, zählte sie zuerst die Finger an Händen und Füßen und betrachtete ihn sorgfältig von Kopf bis Fuß. Dann atmete sie erleichtert auf. Es fehlte ihm an nichts. Er hatte alles, was eine richtige Puppe haben musste. Und obendrein brüllte er in die warme Frühlingsnacht wie ein Löwe. Sie gab ihm den Namen Leonardo. Weder Caterina noch irgendjemand sonst ahnte in diesem Moment, dass Leonardo sich doch von den anderen Neugeborenen unterschied. Er hatte etwas mehr. Etwas Besonderes, noch Unsichtbares, das sich aber schon bald zeigen sollte – ein Talent, über das die Menschen noch Jahrhunderte staunen würden. Unter der heißen toskanischen Sonne wachsen Kinder so schnell wie Oliven. Leonardo ist noch nicht einmal vier Jahre alt und rennt schon durch das ganze Städtchen Vinci. Einmal wäre er beinahe von einem Pferd überrannt worden, ein anderes Mal klettert er einer Katze hinterher bis auf das Türmchen eines Taubenschlags. Tiere und Höhen machen ihm keine Angst. „Heute Nacht habe ich geträumt, dass ich mit einem Schwarm Schwäne über diesen hohen Berg dort geflogen bin!“ Leonardo zeigt seinem Vater Pietro auf den Hügel hinter dem Städtchen. „Als wir dann am Fluss landeten, habe ich meinen Kopf unter den Flügel gesteckt und bin eingeschlafen.“ Vater Pietro lächelt. „Menschen sind keine Vögel, sie können nicht fliegen“, erklärt er seinem Sohn. Aber Leonardo weiß es besser. Er nimmt einen Zweig und zeichnet in die weiche Erde neben der Olivenpresse einen fliegenden Mann. Der nächtliche Regen spült die Zeichnung restlos fort, doch das macht Leonardo nichts aus. Zum Geburtstag hat er von seinem Großvater Antonio Bleistifte und ein Notizbuch bekommen. Also zeichnet er den Vogel-Menschen noch einmal – und diesmal kann kein einziger Regentropfen ihn auslöschen.