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Was wir vergessen haben

oder Wie man mit dem Souffleur arbeitet

Charaktere:

JITKA: Schauspielerin, sie ist seit über sieben Jahren siebzig.

KRYŠTOF: Jitkas Sohn, nicht behandelter Autist, spricht oft in Gedichten, nicht immer siebzehn Silben lang.

MIREK: Ehemaliger Unternehmer, ehemaliger Schauspieler, Hotelhausmeister, Rettungsschwimmer, Autor, Regisseur, usw.

STRIGA: Mirkas Tochter, experimentiert mit Sex, Tropfbewässerung und nachhaltiger Entwicklung.

 

KRYŠTOF: Wenn du deine Gewohnheiten nicht änderst, Mutter, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass dein Hörvermögen schlechter wird. Das wäre unangenehm. Besonders in deinem Fall.

JITKA: Wodurch ist mein Fall besonders?

KRYŠTOF: Wenn Schwerhörigkeit zu einer Abnahme der geistigen Fähigkeiten hinzukommt, haben wir ein ernstes Problem.

JITKA: Nehmen meine geistigen Fähigkeiten ab?

KRYŠTOF: Zweifellos.

JITKA: (Jitka ist von der Antwort betroffen, sie lässt sie einen Moment sacken) Selbst wenn... mit siebzig ist das üblich.

KRYŠTOF: In deinem Alter ist das noch üblicher. Bei dir häufen sich die Gedächtnislücken. Das könnte sich als Altersdämmerung, als Senilität oder als Alzheimer äußern...

JITKA: (versucht das Thema aufzulockern) Ich kenne diesen Mann nicht, also kann er sich bei mir nicht äußern.

KRYŠTOF: Das beginnende Alzheimer bemerken die meisten Menschen nicht. Gedächtnislücken sind marginal und Konzentrationsstörungen werden meistens auf Müdigkeit oder Schlaflosigkeit zurückgeführt.

JITKA: Ich schlafe schlecht, das stimmt. Ich werde wieder diese Pillen nehmen. Wenn ich richtig schlafe, funktioniert alles, was vom Gehirn gesteuert wird, viel besser.

KRYŠTOF: Es gibt nichts, was nicht vom Gehirn gesteuert wird. Im menschlichen Körper. Quallen haben das zum Beispiel anders.

JITKA: Ich spreche von intellektueller Tätigkeit. Von der Arbeit an einer Rolle. Oder vom Podcasten.

KRYŠTOF: Lade Tereza als Gast in deinen Podcast ein.

JITKA: Wer ist Tereza?

KRYŠTOF: Unsere neue Nachbarin. Die Tochter deines Freundes Rýdl. Tereza heißt nur auf dem Papier so. Alle nennen sie Striga. Ihre Mutter war eine Slowakin aus Revúca. Wir haben uns im Aufzug kennengelernt. Mit Striga, nicht mit ihrer Mutter. Die ist an Krebs gestorben. Ich habe mein Beileid ausgesprochen.

JITKA: Was findest du an dieser Striga interessant?

KRYŠTOF: Sie biedert sich nicht an, sie kann überraschen... wenn sie nervös wird, spricht sie wie ein Rohr. Die Vulgarismen könnten in der Postproduktion herausgeschnitten werden.

JITKA: Wie alt ist sie?

KRYŠTOF: Ich habe nicht gefragt. Ich würde sagen, sie ist jünger als Gizela. Sie hat längere Beine. Dichteres Haar. Sie trägt keinen BH.

JITKA: Fantastische Beobachtung – all das in wenigen Sekunden im Aufzug!

KRYŠTOF: Sie stand in meiner persönlichen Zone. Sechzig... (nach kurzem Überlegen) ... fünfundfünfzig Zentimeter von mir entfernt. Ihre sekundären Geschlechtsmerkmale und individuellen Besonderheiten konnte man nicht übersehen.

JITKA: Welche Besonderheiten hast du noch an ihr bemerkt?

KRYŠTOF: Wenn sie spricht, bewegt sich die Spitze ihrer Nase.

JITKA: Worüber hat sie gesprochen?

KRYŠTOF: Dass sie gerne experimentiert. Über gelegentlichen Sex – sie praktiziert ihn kaum. Über nachhaltige Entwicklung – sie setzt sich dafür ein. Über eine Wünschelrute.

JITKA: Das Mädchen hat ein breites Repertoire!

KRYŠTOF: Sie ist antiautoritär. Regeln stressen sie. Sie hat auch etwas über meinen Vater erwähnt.

JITKA: Was hat sie gesagt?

KRYŠTOF: Dass er lobotomische Unterhaltung produziert hat.

JITKA: Lobotomische?!

KRYŠTOF: Sie hat das im übertragenen Sinne gebraucht. Sie wollte sagen, stumpf, gedankenlos.

JITKA: Ich weiß, was sie sagen wollte, du musst mir das nicht übersetzen. Diese freche Hexe!

KRYŠTOF: Das ist nicht ihre Meinung. Sie hat sie von ihren Eltern übernommen.

JITKA: Und da sind wir!

KRYŠTOF: Mama…

JITKA: Ich hab's dir doch gesagt! Mirek…

(Kryštof bildet mit seinen Händen ein „T“, um anzudeuten, dass er eine Bemerkung einwerfen möchte. Doch Jitka ist in Fahrt und nicht zu stoppen.)

JITKA: Rýdl ist verbittert, eitel, ein in sich selbst verliebter, eingebildeter Mensch, und seine… warum hat er wohl eine Slowakin geheiratet? Aus Revúca! Ich sag dir was: Er musste immer etwas Besonderes haben! Sich als originell darstellen! Wie als er diese One-Man-Show über den stummen Redner geschrieben hat... da war nichts anderes als der Wunsch nach Originalität dabei!

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