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Väter und Bastarde

Jeder Mensch hat zwei grundlegende Ungewissheiten: den Vater und die Mutter. Sie begleiten ihn sein Leben lang, manche können sich selbst nach dem Tod auf sie verlassen.

Dieses Buch ist keine moralische Anklage gegenüber untreuen Frauen (auch wenn sie diejenigen sind, die hier ihre Männer betrügen und mit mehreren Männern gleichzeitig Sex haben). Der Schwerpunkt liegt vielmehr in den psychischen Konflikten, die vielleicht infolge dessen entstehen, sowohl bei den Frauen/Müttern und Männern/Vätern als auch bei den Kindern, die sich dann im erwachsenen Alter – womöglich aufgrund der unbewussten Konflikte – mit dem Alleinsein, aber auch mit Partnerschaften schwer tun.

Marcela Euler

 

Ein Reigen von Schicksalen, die einander berühren und von der Autorin gekonnt verknüpft werden. Procházková wechselt in größeren Abschnitten zwischen den Perspektiven der Figuren hin und her, jeweils in personaler Erzählweise. Im Mittelpunkt stehen Marlen und Max, und so handelt es sich nicht zuletzt um eine Liebesgeschichte. Szenen und Dialoge sind dabei so verfasst, dass man sich das Ganze auch gut als Film vorstellen könnte.

Sophia Marzolff

 

Iva Procházkovás neue Roman Väter und Bastarde ist ein hinreißendes Buch über die Suche nach der Vergangenheit und derer Fehlern, über das Verstehen und Überwinden der traumatischen Erfahrungen der Kindheit, kaputten Beziehungen und scheinbar zufälligen Situationen im Leben. Gleichfalls erzählt es von der Sehnsucht nach der Nähe und dem inneren Gleichgewicht. Wer Procházkovás kinder- und jugendliterarische Werke kennt, weiß, dass die Autorin sich sehr oft an neue, brisante Themen heranwagt.

In Väter und Bastarde, einem Prag-Roman, erzählt Procházková die Geschichte mehreren Figuren, derer Leben sugestiv vom schwindenden Familienbewusstsein und dem sich verlierenden Sicherheitsgefühl aussagen. Macht das Sinn nach der Familienanamnese zu suchen? Ist es nich einfacher im eigenen Schneckenhaus zu sitzen zu bleiben und die Vergangenheit schlafen zu lassen? Die Struktur der zeitgenössischen Familienbeziehungen verwandelt sich, und Iva Procházková nimmt Stellung dazu mittels einer originellen Geschichte.

Jana Čeňková

Zu Männern hatte er schon immer ein schwieriges Verhältnis gehabt. Er ertrug es kaum, wenn sie ihn, wenn auch zufällig, berührten, er musste sich überwinden, Lehrern seinen absoluten Mangel an Respekt nicht zu zeigen und vor den Mitschülern zu verbergen, dass er nicht an ihrer Freundschaft interessiert war. Ohne Zweifel hing es damit zusammen, dass sich zu Hause keine männliche Autorität befand. Es war nie ein Vater da gewesen, dem er sich hätte unterordnen müssen und dabei hätte gelernt, ihn zu verstehen und ihn zu lieben. Familie, das waren Max und die Mutter. Mutter musste er nicht verstehen. Als er klein war, fragte er sie manchmal nach Vater, sie aber antwortete mit Fragen. „Wozu wäre er gut? Brauchst du Fausterziehung?“, sagte sie. Oder ein anderes Mal: „Weißt du, dass die Gottesanbeterin das Männchen auffrisst, nachdem es sie befruchtet hat?“ Ihre Bemerkungen verunsicherten ihn. Hatte etwa die Mutter den Vater aufgegessen und war deshalb so groß und stark? Hatte sie ihn zum Mittag- oder zum Abendessen gehabt? Roh oder gebraten? Er hätte ja nicht ganz in den Backofen gepasst, sie hätte ihn zerteilen müssen und den Kopf hätte sie wohl weggeworfen, überlegte Max. Und warum hatte sie es überhaupt getan? Damit er, Max, keine Fausterziehung bekam? Welchen Zusammenhang gab es zwischen Fausterziehung und Befruchtung? Diese und ähnliche Fragen schwirrten jedes Mal in seinem Kopf, wenn die Rede auf Vater fiel. Je älter er wurde, desto mehr Antworten fand er selbst und desto weniger fragte er. In der Pubertät hörte er ganz auf, von Vater zu sprechen. Das Zusammenleben mit Mutter war so konfliktlos, dass die Anwesenheit eines Mannes, egal welchen Mannes, lediglich belastend gewesen wäre. Max sah es am Beispiel seiner Mitschüler, deren Aufwachsen Väter nur verbitterten. Es war eindeutig, dass zwei Männchen – eines erwachsen, sich unteilbares Anrecht auf sein Territorium machend, das andere heranwachsend und voller Säfte, die ihn in eine tickende Zeitbombe verwandelten – nur befristet unter einem Dach leben konnten. Früher oder später musste der entscheidende Zweikampf kommen, nach dem eines der beiden den Schwanz einzog und das Feld räumte. „Du behandelst ihn, als müsstest du ihm unbedingt klar machen, dass du der Rudelführer bist!“, pöbelte Marcela jedesmal Max an, wenn er Filip in die angemessenen Schranken verwies. „Ich dachte, dass du dich für einen Intellektuellen und nicht für einen Neandertaler hältst!“ Ihre Aufregung kam Max witzig vor. Falls Intellektuelle ihren frechen pubertierenden Söhnen nicht sagen durften, dass sie frech seien, falls Intellektuelle nicht das Recht hatten, diesen Söhnen einen Kleiderwechsel anzuordnen, wenn der Gestank aus ihren liebsten und somit nie abgelegten Klamotten die Schmerzgrenze erreichte, falls Intellektuallismus erforderte, dass man geduldig dem dünnflüssigen Gelaber des Sohnes zuhörte, das er in esoterischen Teestuben aufgeschnappt hatte („Ist es dir, Papa, echt so Schnuppe, dass der Weg zu deinem Unterbewusstsein blockiert ist? Du kommunizierst ja nicht mit dir selbst! Es macht nichts, dass du alt bist, du solltest endlich dein persönliches Mandala erstellen!“), falls er sich über derlei Ratschläge unehrlich wundern und so tun sollte, als würden sie ihm ungeahnte Horizonte eröffnen, dann war er tausendmal lieber ein Neandertaler.

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